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Bürgerschaftswahl 2015 – Wahlprüfsteine des BSVH

Am 15. Februar 2015 wählen die Hamburgerinnen und Hamburger eine neue Bürgerschaft. Auch die 3.000 blinden und mehr als 40.000 sehbehinderten Wählerinnen und Wähler der Hansestadt sind dazu aufgerufen, einer Partei ihre Stimme zu geben. Dies sollte möglichst eine sein, die ihre Interessen vertritt. Grund genug, den zur Wahl stehenden Parteien einmal die wichtigsten Fragen bezüglich Barrierefreiheit, Inklusion und Teilhabe zu stellen. Der BSVH hat zu diesem Zweck so genannte Wahlprüfsteine erstellt und an die in der Bürgerschaft vertretenen Parteien sowie an die AfD (Alternative für Deutschland) versendet. Die zurückkommenden Antworten werden wir auf unserer Website veröffentlichen.

Hintergrund

Im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention sowie des Hamburgischen Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen ist Barrierefreiheit eine Voraussetzung zur gesellschaftlichen Teilhabe. Der Hamburger Senat beschloss im Dezember 2012 einen Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Viel bewegt sich hierzu in Hamburg, jedoch noch lange nicht genug, um von einer gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu sprechen. Wichtige Themen sind die Barrierefreiheit und Sicherheit für blinde und sehbehinderte Menschen im öffentlichen Raum. Darüber hinaus geht es um die gesellschaftliche Teilhabe dieser Menschen, sei es im Bildungsbereich, auf dem Arbeitsmarkt oder bezüglich des Zugangs zu Kultur und Medien. Eine weitere zentrale Frage bezieht sich auf die Unterstützung dieser Menschen. Hier geht es um Nachteilsausgleiche, den Zugang zu notwendigen Hilfsmitteln oder Rehabilitationsmaßnahmen.

Dies alles haben wir in insgesamt zehn Fragen zusammengefasst:

1. Hamburger Kompetenznetzwerk für Barrierefreiheit

Um die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum zu gewährleisten, ist es unumgänglich behinderte Menschen bereits in der Planungsphase einzubeziehen. Hierfür steht in Hamburg das Beratungsstellennetzwerk „Hamburger Straße“ – bestehend aus der LAG für behinderte Menschen, Barrierefrei Leben e.V. und dem BSVH - zum Thema Barrierefreiheit zur Verfügung. In den letzten Jahren hat der Beratungs- und Unterstützungsbedarf durch das „Netzwerk Hamburger Straße“ stark zugenommen und ist auf ehrenamtlicher Basis nicht mehr zu leisten. Die Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen fordert aus diesem Grund die Einrichtung eines „Kompetenznetzwerks für Barrierefreiheit“ in Hamburg entsprechend der Forderung der 78 Organisationen umfassenden „BRK-Allianz“ nach Einrichtung unabhängiger Fachstellen für Barrierefreiheit. Werden Sie sich für die Realisierung des Kompetenznetzwerks einsetzen? Machen Sie sich für die Finanzierung dieses Netzwerks stark?

2. Barrierefreiheit im öffentlichen Raum

Sehbehinderte und blinde Menschen haben große Probleme, sich im öffentlichen Raum zu orientieren. Vor allem ältere Menschen, die weitaus größte und stetig wachsende Gruppe der Betroffenen, hat hiermit Schwierigkeiten. Leider wird jedoch bei der Stadtplanung immer wieder von gängigen und bewerten Normen und Empfehlungen, wie beispielsweise von den Planungshinweisen für Stadtstraßen - abgewichen. Für Betroffene ist eine möglichst einheitliche Lösung und Umsetzung zwingend erforderlich, um sich sicher in der Stadt bewegen zu können. Auch im öffentlichen Personennahverkehr sind Orientierung und Sicherheit besonders relevant. Akustische Ansagen, beispielsweise zum Auffinden von Anschlusszügen, der Ausstiegrichtung oder den einfahrenden Zügen sind dringend erforderlich. Eine barrierefreie Bahnhofsgestaltung, die z.B. einen sicheren Weg von einem zum anderen Verkehrsmittel garantiert, ist ebenfalls unerlässlich. Wie stellen Sie sicher, dass die bereits erarbeiteten und bewerten Normen und Empfehlungen zukünftig flächendeckend umgesetzt werden? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass blinde und sehbehinderte Menschen den Personennahverkehr in Hamburg barrierefrei nutzen können?

3. Barrierefreies Rathaus

Bereits zur Bürgerschaftswahl 2011 hatte eine Arbeitsgruppe der Hamburgischen Bürgerschaft Vorschläge für eine barrierefreie Gestaltung vorgelegt. 2012 wurden hierzu Vertreter der Selbsthilfeorganisationen im Rahmen einer Expertenanhörung zu ihrer Einschätzung befragt, und sie haben in diesem Zusammenhang konkrete Vorschläge für erste Maßnahmen gemacht. Von den Vorschlägen für eine bessere Barrierefreiheit für blinde und sehbehinderte Besucher – beispielsweise einer Schulung des Personals zum Thema Blindheit / Sehbehinderung - wurde bisher bedauerlicherweise keiner umgesetzt. Was werden Sie tun, um das Hamburger Rathaus für alle Menschen barrierefrei zugänglich zu machen?

4. Sicherheit im öffentlichen Raum

Blinde und sehbehinderte Menschen müssen sich darauf verlassen, dass sie sich auf öffentlichen Wegen und Straßen sicher bewegen können. Leider stellen wir fest, dass hier häufig Gefahren lauern. So werden die Straßen Hamburgs nach wie vor im Winter nicht ausreichend geräumt. Auch werden Gehwege bei Mängeln nicht hinreichend gewartet, Bäume und Hecken nicht rechtzeitig beschnitten oder Baustellen nicht genügend gesichert. Schlecht markierte Treppen sind gefährliche Stolperfallen und führen immer wieder zu Unfällen. Auch das Aufstellen von Pollern ohne kontrastreiche Markierung birgt Gefahren – um nur einige Beispiele zu nennen. Mit welchen Maßnahmen möchten Sie verhindern, dass auf Hamburgs Straßen Gefahren für blinde und sehbehinderte Menschen lauern?

5. Nachteilsausgleich

Der notwendige Nachteilsausgleich Blindengeld steht in vielen Bundesländern immer wieder zur Diskussion. In einigen Bundesländern wird ein Sehbehindertengeld gezahlt, in Hamburg nicht. Des Weiteren schwanken die Leistungen des Blindengeldes von Land zu Land massiv. Andere Behindertengruppen werden gar nicht berücksichtigt. Bekennen Sie sich zum vollständigen Erhalt des Landesblindengeldes in Hamburg? Planen Sie einen Nachteilsausgleich für stark sehbehinderte Menschen? Machen Sie sich für ein Taubblindengeld nach bayrischem Vorbild stark? Werden Sie sich für ein bundeseinheitliches Leistungsgesetz für alle behinderten Menschen einsetzen?

6. Rehabilitation und Hilfsmittel

Die Versorgung sehbehinderter und blinder Menschen mit Hilfsmitteln und Rehabilitationsangeboten ist in Deutschland prekär. Viele Krankenkassen scheinen zunächst prinzipiell die Übernahme von entsprechenden Leistungen abzulehnen. Viele Betroffene geben auf. Gerade für neu von einer Sehbehinderung betroffene Senioren gibt es keine rechtlichen Grundlagen für eine physische und psychische Rehabilitation. Auch fehlen teilstationäre und stationäre Angebote. Was werden Sie nach der Wahl tun, um diese Situation zu verbessern?

7. Inklusive Schule

Im Hamburger Landesaktionsplan hat sich der Senat 2013 dazu verpflichtet, allen Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf einen Zugang zu einer allgemeinen Schule zu ermöglichen. Diese Forderungen haben die Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung aktuell beim Stuttgarter Treffen bekräftigt. Es muss jedoch gewährleistet sein, dass sehbehinderte und blinde Schüler an Regelschulen optimal mit Lehrmaterialien versorgt werden. Lehrkräfte müssen in die Lage versetzt werden, behinderte Schüler in den Unterricht einzubinden. Gleichzeitig muss gewährleistet werden, dass neben den Lehrinhalten auch die blinden- und sehbehindertenspezifischen Arbeitstechniken vermittelt werden. Das gilt insbesondere für das Erlernen der Braille-Schrift. All dies bedeutet, dass die finanziellen Voraussetzungen für eine optimale Inklusion geschaffen werden müssen. Der finanzielle Aufwand darf kein Grund für Einsparungen auf Kosten der Inklusion sein. Was werden Sie nach der Wahl für das Erreichen des Zieles der Inklusion an den Hamburger Schulen tun? Welche Rolle hat Ihrer Meinung nach zukünftig eine Sonderschule wie das Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte am Borgweg?

8. Kulturelle Teilhabe / Teilhabe an Sportveranstaltungen

Mit dem Pilotprojekt zur Förderung von Theateraufführungen mit Audiodeskription (AD) hat die Hamburger Kulturbehörde 2013 einen wichtigen Schritt gemacht. Auch 2014 wurde im Altonaer Theater sowie im Deutschen SchauSpielHaus jeweils ein Stück mit AD gezeigt. Alle Heimspiele des HSV sowie des FC St. Pauli werden für blinde und sehbehinderte Stadionbesucher mit einer Live-AD begleitet. Dies sind erste wichtige Schritte auf einem Weg zur gleichberechtigten Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen am reichhaltigen kulturellen und sportlichen Angebot dieser Stadt. Werden Sie sich für den Ausbau an Theateraufführungen mit AD stark machen? Planen Sie eine Erweiterung dieses Angebots für die attraktiven Musicals, die Staatsoper sowie weitere Sportveranstaltungen in Hamburg? Werden Sie sich für barrierefreie Angebote in Museen einsetzen? Sollte es zu einer Bewerbung Hamburgs als Olympia-Ausrichter kommen, inwieweit werden Sie dann die Interessen blinder und sehbehinderter Menschen bereits in die Planung einbeziehen?

9. NDR

Sehbehinderte und blinde Menschen benötigen Hörfilme (Audiodeskription) für einen gleichberechtigten Zugang zu Medien. Das Angebot an Hörfilmen ist im deutschen Fernsehen jedoch ausbaufähig. Trotz Novellierung des Filmförderungsgesetzes und Einführung des Rundfunkbeitrags auch für blinde und sehbehinderte Menschen ist der Anteil an Hörfilmangeboten im NDR-Fernsehen noch immer gering, vor allem bei Fernsehshows, Dokumentationen, Sport- und Nachrichtensendungen. Darüber hinaus sind immer seltener blinde Hörfilmbeschreiber bei der Erstellung der Audiodeskriptionen beteiligt, obwohl nur sie beurteilen können, welche Beschreibung eine Szene für die Verständlichkeit benötigt. Werden Sie sich dafür stark machen, dass insbesondere der NDR sein Hörfilm-Angebot verbindlich ausbauen muss? Werden Sie sich für entsprechende Anpassungen im Rundfunkstaatsvertrag stark machen? Setzen Sie sich dafür ein, dass blinde Hörfilmbeschreiber verbindlich an den Produktionen beteiligt werden? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass behinderte Menschen im NDR-Rundfunkrat aufgenommen werden?

10. Arbeitsmarkt

Bereits 2011 haben wir darauf hingewiesen, dass eine berufliche Eingliederung für blinde und sehbehinderte Menschen erschwert wird. Nur etwa ein Drittel der blinden Menschen im berufsfähigen Alter geht einer geregelten beruflichen Tätigkeit nach. Betroffenen werden immer seltener berufliche Rehabilitationsmaßnahmen finanziert, stattdessen werden zeitlich sehr begrenzte Maßnahmen gefördert, die keine langfristige berufliche Teilhabe ermöglichen. Wie gedenken Sie, eine individuelle Eingliederung durch die Arbeitsagenturen zu ermöglichen? Was werden Sie nach der Wahl für die berufliche Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen tun? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass mehr sehbehinderte und blinde Menschen bei Stadt und Behörden eingestellt werden?

Ansprechpartner

Melanie Wölwer

Pressesprecherin

(040) 209 404 29
(0151) 297 000 13
m.woelwer@bsvh.org

Porträtbild von Melanie Wölwer

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