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Joachim Gauck: "Ich möchte mein Amt nutzen für das Thema Inklusion"

Die Begeisterung war groß. Bundespräsident Joachim Gauck hat am vergangenen Freitag beim Festakt zum 100-jährigen Bestehen des DBSV eine ausgesprochen persönliche Festrede gehalten. "Das war keine Rede, wie sie Redenschreiber schreiben", betonte ein DBSV-Ehrenmitglied im Anschluss beim Empfang im Berliner Humboldt Carré.

Der Bundespräsident erinnerte sich vor den rund 250 Gästen aus der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe, aus Politik, Verbänden und Unternehmen, dass er als Kind kaum Berührungspunkte mit behinderten Menschen hatte, wie befangen er war, wenn ihm zum Beispiel ein Mensch mit Blindenstock begegnete: "Die Unsicherheit in solchen Momenten wurde zum Zögern. Schon war die Minute verpasst, in der eine zugewandte Kommunikation hätte stattfinden können."
Im Zeitalter der UN-Behindertenrechtskonvention müsse die Segmentierung in vermeintlich Normale und andere überwunden werden. "Ich möchte mein Amt nutzen für das Thema Inklusion, ich möchte ihm Gehör verschaffen", erklärte das Staatsoberhaupt. "Inklusion fordert ein Wir! Wer das einmal verinnerlicht hat, wird einen Paradigmenwechsel erkennen, der für unsere Gesellschaft sehr heilsam sein könnte." Bundespräsident Gauck nannte Positivbeispiele wie Blindenleitsysteme auf öffentlichen Plätzen und Punktschrift auf Medikamentenverpackungen, mahnte aber: "Von einer wirklich gleichberechtigten Teilhabe sind wir vielerorts weit entfernt". Dass nur knapp ein Drittel der blinden und sehbehinderten Menschen eine Arbeitsstelle hat, habe ihn persönlich erschrocken. "Ich möchte nicht, dass wir so viele Talente nicht erkennen", sagte er.
Besonders ausführlich ging der Bundespräsident auf das Thema "inklusive Bildung" ein. "Dass alle Kinder gemeinsam in einer Schule zu jungen Erwachsenen reifen können, ist mehr als ein neuer Bildungsansatz", betonte er. "Es ist ein neues Lebenskonzept, bei dem Menschenbild und Menschenbildung einer zutiefst humanen Prämisse folgen." In diesem Zusammenhang stellte Gauck klar, dass der Weg zur inklusiven Schule mit erheblichen Mehrkosten verbunden sei. Als "großen Hoffnungsträger für die Inklusion in Deutschland" lobte Bundespräsident Joachim Gauck den DBSV zum Abschluss seiner Rede. "Der DBSV und alle, die seine Ziele unterstützen, beschränken sich nicht auf das Mahnen und Einklagen von Rechten. Der DBSV hat den Paradigmenwechsel schon geschafft und zieht neue Mitstreiter erfolgreich nach. Mich zum Beispiel!"
DBSV-Präsidentin Renate Reymann nutzte die Feststunde, um gravierende Mängel in der Behindertenpolitik aufzuzeigen. Sie rief die Bundesregierung und die Länder auf, die Defizite im Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gemeinsam mit den Behindertenverbänden zu beseitigen: "Wir benötigen einen Aktionsplan, der klare Ziele formuliert, Verantwortlichkeiten festlegt, die notwendigen Ressourcen sicherstellt und einen exakten Zeitplan definiert." Mehr Entschlossenheit forderte Reymann ein, um zu einer uneingeschränkten sozialen Teilhabe zu gelangen. "Die Politik verwaltet überkommene Strukturen", kritisierte sie. "Bund und Länder quälen sich durch die Reform der Eingliederungshilfe, statt auf neue Ansätze zu setzen, wie sie der Gesetzentwurf zur sozialen Teilhabe des Forums behinderter Juristinnen und Juristen liefert." Massive Kürzungen beim Blindengeld wertete Reymann als Zeichen der "Entsolidarisierung und einen Angriff auf Chancengleichheit und soziale Fairness."
Nachdrücklich rief die DBSV-Präsidentin die Politik auf, die Arbeit der Selbsthilfe als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anzuerkennen und forderte eine entsprechende finanzielle Ausstattung. "Ich bin optimistisch und freue mich auf die kommenden Jahre gemeinsamer Arbeit für das Ziel einer Gesellschaft für alle", erklärte Reymann zum Schluss. "Der DBSV wird den Reformprozess mit allen gesellschaftlichen Kräften aktiv gestalten."

Quelle: www.dbsv.org/dbsv/aktuelles/alias/article/1666/28/

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Pressesprecherin

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