Menschen mit Behinderung werden in Medien oft besonders leidend oder besonders heroisch dargestellt - Das finde ich falsch. In diesem Text möchte ich gerne einige Beispiele aufzeigen, aber auch erklären was Sie besser machen können.
Menschen mit Behinderung werden in den Medien oft als besonders dargestellt. Besonders leidend oder besonders heroisch. So sind sie dann „an den Rollstuhl gefesselt“, „meistern ihr Leben TROTZ einer Behinderung“ oder „leiden an xy“. Es mag natürlich sein dass manche Menschen mit Behinderung wirklich leiden. Aber genauso wie eben auch Menschen ohne Behinderung an etwas leiden. Oder eben nicht, denn Leid ist ja nun oft ein Thema dessen, wie Mensch mit Situationen und Gegebenheiten umgeht.
Definition
Was bedeutet überhaupt Behinderung? Es gibt hier verschiedene offizielle Definitionen.
Sozialgesetzbuch
„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist.”
Mehr zur Definition nach dem Sozialgesetzbuch
WHO
“Drei Ursachen: Schaden, funktionale und soziale Beeinträchtigung.
Aufgrund einer Tatsache wie zum Beispiel Erkrankung als Ursache entsteht ein dauerhafter gesundheitlicher Schaden. Der Schaden führt zu einer funktionalen Beeinträchtigung der Fähigkeiten und Aktivitäten des Betroffenen.
Die soziale Beeinträchtigung ist Folge des Schadens und äußert sich in persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Konsequenzen.“
Mehr zur Definition der WHO
DGB Rechtsschutz Artikel
“Behindert ist man nicht, behindert wird man“
Mehr zum DGB Rechtschutz Artikel
Bewertung
Früher stand hier in einem ähnlichen Workshop noch den Begriff der Caritas Österreich, der lautete „Behindert ist der, der behindert wird“ – leider habe ich dafür keine Quelle mehr gefunden. Die Seite scheint aktualisiert worden zu sein.
Nah dran ist aber das neue Zitat aus dem oben erwähnten DGB Rechtsschutz Artikel, der sagt: „Behindert ist man, behindert wird man“.
Denn wo Sozialgesetzbuch und WHO die Definition der Behinderung eher beim Menschen selbst sehen, war die Caritas und ist der DGB eher auf der Seite des Menschen und sieht die Barrieren, die den Menschen behindern, im außen. Eine Sicht die mir erstens sympathischer ist und auf der anderen Seite eher meiner Wahrnehmung entspricht. Denn es sind oft die Barrieren und Hindernisse der Infrastruktur oder Gesellschaft, die Menschen behindern, nicht der Mensch selbst.
Zahlen und Entwicklung
Tatsächlich bestehen nur ca 5 Prozent aller Behinderungen von Geburt an, die restlichen 95 Prozent entstehen erst im Lauf des Lebens. Das kann zum Beispiel durch Unfälle oder Krankheiten passieren.
Aus diesen Unfällen und Krankheiten wiederum können dann dauerhafte Behinderungen oder temporäre Einschränkungen, wie ein eingegipster Arm oder Bein, entstehen.
Quelle: Statista
Beispiele
Im folgenden möchte ich gerne ein paar exemplarische Beispiele zeigen und erklären, warum diese nicht optimal sind und was man vielleicht besser machen kann.
„An den Rollstuhl gefesselt“
Leider das „Paradebeispiel“. Diese Floskel liest, sieht und hört man leider sehr oft. Als wäre der Rollstuhl eine Einschränkung. Dabei ist er das Gegenteil, er gibt dem Mensch der ihn benutzt die Möglichkeit der Teilhabe.
Im Beispiel der Zeitschrift WELT wird der Protagonist sogar schon in der Überschrift an besagten Rollstuhl gefesselt. Überraschend positiv dafür ist dann die Bildsprache, denn die ist auf Augenhöhe. Der Protagonist wird nicht von oben herab gezeigt und es ist auch nicht der Rollstuhl im Vordergrund, sondern der Mensch über den die Reportage berichtet. Anstatt der Floskel „An den Rollstuhl gefesselt“ ist es besser wenn Sie sagen: „Er benutzt einen Rollstuhl“ oder „Er ist auf den Rollstuhl angewiesen“.
Wenn Sie eine Reportage über einen Menschen machen, die Reportage aber mit der Behinderung gar nichts zu tun hat, lassen Sie es einfach weg, denn dann ist es egal und spielt für die Geschichte gar keine Rolle. So wie z.B in diesem Beispiel für einen OSRAM Werbespot, die einen Fotografen im Rollstuhl zeigt, denn Rollstuhl aber dabei nicht thematisiert.
Auch die Reportage Achtung Notaufnahme über einen Arzt bei Kabel 1 ist überraschend positiv. Im Teaser-Text „sitzt“ der Protagonist „im Rollstuhl“, die Bildsprache und Kamerafahrten sind direkt zum Einstieg sehr dynamisch und zeigen, wie mobil der Protagonist ist.
Etwas später im Film geht die Reportage sogar noch einen Schritt weiter und erklärt, warum es für die Patienten auch ein Vorteil sein kann wenn der Arzt im Rollstuhl sitzt. z.B. dann, wenn er ähnliche Erfahrungen wie der Patient selbst gemacht hat, so wird direkt eine Verbindung geschaffen.
Ebenfalls gut macht es der Bericht bei Deutschlandfunk Kultur, denn Protagonistin Franziska ist hier „auf den Rollstuhl angewiesen“. Und auch wenn das Bild hier ein Stock-Archivbild ist und nicht die Protagonistin selbst zeigt, wurde bei der Bildauswahl darauf geachtet nicht zu sehr mit Klischees zu arbeiten.
„Trotz“
Ein kleines Wort kann viel bewirken. So auch das Wort „trotz“.
In diesem Beispiel geht der Remscheider General Anzeiger direkt in der Überschrift mit schlechtem Beispiel voran und schreibt: „Glückskind trotz Down-Syndrom“
Schon im ersten Absatz wird aber klar, dass der Protagonist ein normales Leben führt. Die bessere Variante wäre: „xy hat das Down-Syndrom“. Wie im oberen Beispiel gilt aber auch hier, wenn Sie eine Reportage über einen Menschen machen, der das Down-Syndrom hat, die Geschichte aber damit nichts zu tun hat, lassen Sie es weg. So wie z.B. in Werbespot von Expedia.
Auch eine Reportage in der ZEIT über eine Familie, die ein Kind mit Down-Syndrom groß zieht, ist deutlich besser und verzichtet auf Klischees.
Die Autoren wollten ihre Reportage in diesem Fall möglichst vielen Lesern zugänglich machen und haben eine Variante der Geschichte in Leichter Sprache erstellt.
Im Beispiel auf infranken.de geht es um die Protagonistin, die die Eigenschaft hat blind zu sein. Sie gibt im Artikel einer Schulklasse ihre Erfahrungen weiter und erzählt aus ihrem Leben. Hier finde ich es besonders widersprüchlich, dass die Zeitung als Überschrift „Trotz Blindheit glücklich und zufrieden“ gewählt hat. Da habe ich tatsächlich gar keine große Lust den Artikel zu lesen, denn was erwartet der Leser nach so einer Überschrift? Sie wird den Schülern berichten wie furchtbar und trostlos das Leben ist? Das wäre meine Erwartungshaltung an den Artikel.
Es geht dann tatsächlich auch damit weiter, dass die Kinder sich erstaunt zeigten über die Lebensfreude der Frau. Der Artikel endet mit einem Zitat: „ich habe ein glückliches erfülltes Leben“ – warum also die Überschrift, die etwas anderes suggeriert?
Leider habe ich die Vermutung, die deckt sich auch mit der Berichterstattung in der aktuellen Corona-Situation, schlechte Nachrichten, Leid und Angst verkauft sich einfach besser. Das ist Mist und hier wünsche ich mir eine Veränderung der Presselandschaft.
Leidende Protagonisten
Insgesamt werden Menschen mit Behinderung in Artikeln und Reportagen oft als leidend beschrieben und damit auch in der Gesellschaft als leidend wahrgenommen.
Diese Artikel im Spiegel Panorama ist geradezu grotesk und stempelt die Protagonistin als leidende Studentin ab.
Es ist hier leider sehr viel falsch und negativ, dass ich gar nicht alle Punkte aufzählen kann. Sie „leidet an Muskelschwund“, „sitzt in ihrem Träumen nicht im Rollstuhl“, studiert aber „trotzdem“.
Im weiteren Verlauf werden dann ihre Träume und Ziele klar und auch verdeutlicht. Wer nach dem grausamen Start nicht aufgegeben und den Artikel geschlossen hat, bekommt dann doch einen etwas anderen Eindruck und erlebt die Protagonistin nicht mehr nur als die leidende arme Frau, die sie ja augenscheinlich auch nicht ist.
Auch wenn es nicht direkt mit leid zu tun hat, geht es in dem Artikel bei der taz um pränatale Diagnostik und Behinderung. Der Artikel ist zwar sehr emotional und „schwer“ – aber auf seine Art persönlich. Die Autorin berichtet ihre persönliche Sicht und verzichtet dabei auf Wörter wie „trotz“ und „leid“.
Abschließend noch ein Beispiel aus einem Regionalblatt ovb-online Hier geht die Berichterstattung noch einen Schritt weiter. Denn hier „meistert“ die Protagonistin sogar ihr Leben, „trotz Rollstuhl“ – auch hier wieder ein widerspruch. Der Rollstuhl hilft bei der Teilnahme. Sie kann also am gesellschaftlichen Leben teilhaben MIT dem Rollstuhl. Die Formulierung „trotz“ und die Ergänzung „meistert ihr Leben“ suggeriert, das es ein widerspruch ist ein gutes Leben zu haben, wer einen Rollstuhl benutzt. Das macht die Protagonisten zu Helden. Ein Status, den viele mit denen ich darüber gesprochen habe ärgert.
Insgesamt ärgerte mich diese Darstellung der leidenden Menschen mit Behinderung, die dann „trotzdem“ irgend etwas aus ihrem Leben machen so sehr, dass ich vor einigen Jahren ein eigenes Fotoprojekt dazu gestartet habe.
Keinwiderspruch
Bei keinwiderspruch ging es darum, Menschen mit Behinderung zu treffen, die allesamt etwas machen, initiieren, gründen oder starten. Und zwar nicht TROTZ, sondern genau WEGEN der Behinderung. Da ich selbst als Fotograf tätig bin, habe ich mir ein Konzept überlegt, wie ich in ganz Deutschland verschiedene Protagonisten treffen und so fotografieren kann, dass der Stil und die Bildsprache wiedererkennbar ist, das ganze aber ohne großen Aufwand wie z.B. ein Fotostudio umsetzbar ist.
Die Idee war dann, dass die Protagonisten jeweils einen Text über sich und ihre Arbeit, Projekte oder Gedanken verfassen. Alle Bilder und Texte wurden dann sukzessive auf einer Webseite gesammelt und veröffentlicht.
Mittlerweile ist die ursprüngliche Variante der Webseite nicht mehr verfügbar, es gibt allerdings noch ein Archiv mit allen Bildern und Texten.
Es freut mich besonders, dass dieses Projekt, obwohl es seit ein paar Jahren abgeschlossen ist, nach wie vor thematisch aktuell ist und ich immer wieder darauf angesprochen werde oder darüber berichten kann.
Gerade durch die Vielseitigkeit der Texte kann so der Besucher der Webseite in die verschiedenen Lebenswahrheiten der Protagonisten eintauchen und sich so ein ganz anderes Bild von Menschen mit Behinderung machen, als das des sonst so verbreiteten „leidenden Behinderten“.
Für die Fotografen und Fotojournalisten unter Ihnen möchte ich noch explizit erwähnen, dass die Fotos mit Absicht so erstellt wurden, dass man i.d.R. die Behinderung der Protagonisten entweder nicht wahrnimmt, oder sie zumindest in den Hintergrund gerät. Das war mir besonders wichtig, denn es ging im Projekt nicht um Behinderung, sondern um Menschen und deren Umgang damit.
Weitere Fotos auf Keinwiderspruch
Wenn Sie nun für ein Projekt Bilder brauchen, kein Budget für einen Fotografen haben aber TROTZDEM auf klischeehafte Fotos verzichten möchten, empfehle ich Ihnen die Bilddatenbank Gesellschaftsbilder
Auch die Leidmedien, die hinter dieser Bilddatenbank stecken, sind ein guter Anlaufspunkt, wenn Sie nun mehr zu dem Thema wissen wollen, Expertenberatung brauchen oder einfach tiefer in das Thema einsteigen möchten
Umgang
Um die „Angst“ etwas falsch zu machen zu nehmen, möchte ich hier noch ein paar abschließende Tipps mit auf den Weg geben, wie Sie z.B. vorgehen können, wenn Sie Reportagen und oder Berichte von und mit Menschen mit Behinderung machen möchten.
Raus aus den Fiterblasen
Eins möchte ich vorweg nehmen. Genau wie bei Menschen ohne Behinderung gibt es bei Menschen mit Behinderung nicht „den perfekten Umgang“. Manche haben Humor, manche nicht. Manche leiden tatsächlich, manche nicht, manche sind freundlich, manche sind groß, andere klein und manche sind auch Arschlöcher. Leider verhindert eine Behinderung das nicht, da muss man dann auch nicht so tun als wäre jedes Verhalten ok, „nur“ weil der Mensch eben ja behindert ist. Halten wir fest: Menschen mit Behinderung sind so individuell wie Menschen ohne Behinderung, nur dass sie eben diese zusätzliche Eigenschaft haben. Ein paar Grundlegende Tipps gebe ich trotzdem gerne mit.
„Auf wiedersehen“
Meist sind Alltagssätze wie „auf wiedersehen“ auch bei blinden Menschen bekannt genutzt, Sie müssen sich nicht auf die Zunge beissen wenn Sie so etwas sagen.
Helfen
Verzichten Sie am besten darauf, ungefragt zu helfen. Nicht jeder Rollstuhlnutzer möchte, dass Sie seinen Stuhl ungefragt anfassen.
Ansagen machen
Wenn Sie z.B. mit blinden Menschen arbeiten, machen Sie ansagen. Erklären Sie was passiert, sagen Sie z.B. „ok, ich baue das Mikrofon auf“ oder „hier links steht jetzt ein Blitzlicht“ – das hilft allen beteiligten,
Fragen
Wenn Sie nicht wissen, wie Sie mit bestimmten Situationen umgehen sollen, fragen Sie doch einfach den Menschen über den Sie schreiben oder mit dem sie arbeiten. Das hilft allen beteiligten, denn die meisten Menschen mit Behinderung haben so viel Erfahrung mit Medienmenschen wie umgekehrt
Der Autor
Johannes Mairhofer ist sehr neugierig und hat in seiner Laufbahn schon verschiedenste Stationen erreicht. Vom gelernten Fachinformatiker zum freiberuflichem Fotografen ist er vielseitig unterwegs und kann dadurch die verschieden "Brillen" seiner Kunden aufsetzen. Heute arbeitet er als freier Fotograf und Berater für WordPress und Fotografie.
Außerdem hat er einige Projekte initiiert und beschäftigt sich mit vielen Themen, somit auch mit Vielseitigkeit und Gesellschaft.
Ihm ist wichtig, dass er hier nicht als „Sprecher der Menschen mit Behinderung“ wahrgenommen werden will, dazu hat er auch weder die Befähigung noch das Interesse.
Die angegebenen Tipps beruhen auf eigenen Erfahrungen, Gesprächen mit anderen Menschen mit Behinderung, Recherche in offiziellen Quellen und Erfahrungen durch die Projekte wie keinwiderspruch und speakabled.
Sie finden Ihn und seine Arbeiten auf:
- Homepage: www.johannesmairhofer.de
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