Umgang mit blinden und sehbehinderten Menschen: Für ein respektvolles Miteinander

Die Mitarbeiterin am Empfang des BSVH, Tamara Geißler, begrüßt eine Besucherin im Louis-Braille-Center

Foto: © BSVH/Schwering

Blinden oder sehbehinderten Menschen helfen? Ehrensache! Aber verhält man sich dabei immer richtig?

Oft wissen Menschen nicht, wie sie blinde und sehbehinderte Menschen am besten ansprechen und ihre Hilfe anbieten. Es bestehen Unsicherheiten in der Wortwahl. Oder Alltagssituationen werden falsch interpretiert. Dann kommt es vor, dass seheingeschränkte Menschen z.B. ungefragt angefasst werden, um über eine Straße geleitet oder in Busse und Bahnen gebracht zu werden.

Es gibt viele Situationen, in denen blinde und sehbehinderte Menschen Hilfe benötigen. Gleichzeitig entscheiden die Betroffenen gerne selbst, in welcher Lage sie die Unterstützung einer sehenden Person brauchen und wann nicht. Erfahren Sie mehr zum Thema in unserem Erklärfilm:

Nicht so - sondern so: Weitere ausgewählte Tipps zum Umgang mit blinden und sehbehinderten Menschen

Darf man eigentlich „sehen“ sagen?

Im Gespräch mit einer blinden Person sind viele Menschen häufig unsicher, was ihre Wortwahl betrifft. Sie scheuen sich davor, Wörter wie „sehen“, „betrachten“ oder „blind“ zu gebrauchen. Sie sagen dann: „Mein Onkel ist auch … äh, äh … so“, oder „Meine Großmutter hatte das auch.“ Wenn sie irrtümlich doch das Wort „sehen“ gebrauchen, kann es geschehen, dass sie sich dafür entschuldigen: „Oh! Entschuldigen Sie … ich hatte nicht daran gedacht“ usw.

Auch Betroffene wenden das Wort „sehen“ oder ähnliche Wörter meist ganz normal im Gespräch an: „Ich habe dieses Buch gelesen“ (in Blindenschrift oder als Hörbuch). „Ja, ich habe dieses Theaterstück gesehen“ (gehört). Sie können deshalb in der Regel ohne Hemmung beim Treffen zu einem blinden Menschen sagen „Wie schön, Sie/dich endlich mal wieder zu sehen“.

Bitte direkt ansprechen

Immer wieder erleben seheingeschränkte Menschen folgende Situation: Jemand sagt zu deren sehende Begleitung Sätze wie: „Möchte Ihr Mann etwas trinken?“, „Kann die Dame selbst unterschreiben?“, oder „Möchte der Herr Platz nehmen?“

Wenn Sie einem blinden Menschen etwas anbieten wollen, sprechen Sie ihn mit seinem Namen an oder sprechen Sie in seine Richtung. Vielleicht gelingt Ihnen auch ein charmanter Hinweis, der die Person erkennen lässt, dass sie gemeint ist.

Wo ist „da“, wo ist „dort“?

Häufig verwenden wir Sätze wie „Da steht ein Sessel“ oder „Auf dem Tisch dort hinten“ oder „Vorsicht, da vorne ist ein Fahrrad an die Mauer gelehnt. Sagen Sie im Gespräch mit einer seheingeschränkten Person lieber: „Vor Ihnen steht ein Sessel“, „Ein kleiner Tisch befindet sich einen Meter hinter Ihnen“, oder „Ungefähr zehn Meter vor Ihnen links lehnt ein Fahrrad an der Mauer.“

Bei Tisch können Sie beispielsweise sagen: „Ihr Glas steht links vor Ihnen“, oder „Das Glas steht neben Ihrer rechten Hand.“ Sie können den fraglichen Gegenstand auch leicht berühren, sodass der Betroffene ihn nach dem Klang finden kann. Wenn Sie ihm ein Glas Wasser in die Hand geben, sagen Sie ihm aber auch, wo er es hinstellen kann, zum Beispiel: „Links neben Ihrem Sessel steht ein kleiner Tisch.“

Hilfe beim Einkauf

Wenn Sie einem blinden Menschen helfen, ein Geschäft zu betreten, gehen Sie mit ihm gemeinsam bis zu einem Verkäufer oder einer Verkäuferin oder einem Servicestand; dort wird dann in den meisten Fällen die Einkaufsbegleitung übernommen.

Die Garderobe in Gaststätten wiederfinden

In Gaststätten wird blinden Menschen oft aus dem Mantel geholfen. Und schon sind die Sachen verschwunden! Es ist deshalb besser, wenn blinde Personen ihre Sachen selbst ablegen. Wenn Sie dabei helfen, sagen Sie: „Ihr Mantel hängt am ersten Haken neben der Tür.“

Der Weg zum WC

Wenn ein blinder Mensch Sie bittet, ihn zum WC zu begleiten, brauchen Sie keine Hemmungen haben. Sind Sie vom gleichen Geschlecht und befinden sich an einem öffentlichen Ort, können Sie zusammen eintreten und den Weg zur Kabine weisen. Haben Sie Zeit, draußen auf die blinde Person zu warten, zeigen Sie ihr auch das Waschbecken, die Seife, das Handtuch oder den Handtrockner. Zögern Sie gegebenenfalls auch nicht, ihr zu sagen, dass die Toilette in keinem sauberen Zustand ist.

Viele blinde Menschen sind es gewohnt, sich eigenständig in öffentlichen WC-Anlagen zu orientieren. Ist der blinde Mensch also vom anderen Geschlecht, besprechen Sie gemeinsam das bestmögliche Vorgehen. In den meisten Fällen reicht es aus, wenn Mann/Frau denjenigen bis zur Tür begleitet.

Türen und Hindernisse

Achten Sie darauf, dass Haus- und Zimmertüren entweder ganz offen oder geschlossen sind. Halb offene Türen können für blinde Menschen zu einem gefährlichen Hindernis werden. Auch Schranktüren müssen deshalb immer ganz geschlossen sein. Lassen Sie bitte auch keine Gegenstände, z.B. Mülleimer oder Staubsauger in den Wegen herumstehen.

Wenn man blinde Menschen auf dem Gehweg trifft, ist es nett, wenn man sie auf mögliche Gefahrenquellen hinweist, die mit dem Stock nicht wahrgenommen werden können, z.B. offene Kofferraumtüren, herabhängende Äste von Sträuchern und Bäumen, die über den Gehweg ragen oder Hinterlassenschaften von Hunden auf dem Gehweg.

Zu guter Letzt: Die goldene Regel

Diese Tipps gelten für die meisten Betroffenen. Letztlich weiß jede einzelne Person am besten, welche Hilfe wann und in welcher Form benötigt wird. Fassen Sie bitte eine blinde oder sehbehinderte Person niemals ungefragt an - es sei denn, es besteht Lebensgefahr.

Die goldene Regel muss immer sein: Fragen Sie einen blinden oder sehbehinderten Menschen, ob Sie ihm helfen können, bevor Sie etwas für ihn tun – aus Respekt vor ihm und seiner Selbstständigkeit!

(Diese und weitere Tipps finden Sie auch in der Broschüre „Nicht so – sondern so, Kleiner Ratgeber für den Umgang mit blinden Menschen“ des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands (DBSV). Hier als Barrierefreies PDF und Audioversion zum download)

Erfahrungsberichte von Betroffenen

Ich wohne im Stadtteil Bergedorf und habe bisher nur positive Erfahrung gemacht. Ich bin seit drei Jahren stark sehbehindert. Wenn meine frau zum Einkaufen geht und ich allein draußen warte. Werde ich oft höflich angesprochen, ob ich Hilfe benötige.

In den letzten Jahren ist es mir ziemlich oft passiert, dass Menschen, die mir in die U-Bahn helfen wollten, einfach das Ende meines Stockes angefasst haben, und mich daran in die U-Bahn ziehen wollten. Das kann an der U-Bahn sehr gefährlich sein. Außerdem braucht man ja den Stock zum Fühlen der Bodenuntergründe. nicht nur an der U-Bahn, sondern auch sonst darf der Stock nicht einfach von Leuten hochgehoben und als eine Art Führseil benutzt werden. Manche heben auch meinen Stock hoch und setzen ihn auf die Stufe des Busses. Das ist auch richtig unangenehm, da man den Stock ja selber zum Fühlen so einsetzen muss, wie man es braucht. Es wirkt auch so, als ob die Leute etwas über meinen Kopf hinweg machen würden, was ich gar nicht möchte. Auch fassen mich immer wieder Leute an, bevor sie fragen, ob sie helfen können. Da sollte man doch erst fragen. Positiv ist mir aufgefallen, dass schon einige Leute fragen, ob sie helfen, oder einen anfassen dürfen, bevor sie mich anfassen. Darüber freue ich mich.

Ich habe mein Augenlicht in den letzten zehn Jahren sukzessive bis auf eine jetzt sehr bescheidene Restsichtigkeit verloren. Dabei brauchte ich sehr lange, mein Schicksal zu akzeptieren und konnte mich nur zögernd bereitfinden, meine Beeinträchtigung mit dem Blindenabzeichen und später dem Langstock öffentlich zu machen. Es liegt folglich zunächst an uns Betroffenen, zu unserer Behinderung zu stehen. Dies spricht sich leicht, ist in der Umsetzung schwer.  Mit den Anzeigen der Behinderung ist Bekanntgabe und Apell gleichermaßen verbunden, markieren wir uns und machen uns zum Objekt der Aufmerksamkeit. Das zu handhaben fällt extrovertierten Menschen, wie beispielsweise mir, leicht, anderen hingegen nicht. Gerade diese Gruppe steht m. E. im Risiko, ambivalente Signale nach außen zu senden. Dies aber dürfte manche Hilfsbereitschaft erschweren. Wir jedoch sind die „Profis“ im Umgang mit Behinderung, nicht die sehenden Mitmenschen! Meine Erfahrung ist, dass ich mit einer freundlichen, klaren Ansprache stets die Hilfe erhalte, die ich benötige.

So formieren sich meine Erfahrungen der letzten Jahre zu einer unerwarteten, geradezu unzeitgemäßen Erkenntnis, wonach der absolut überwiegende Teil der mir begegneten Menschheit freundlich, umsichtig und hilfsbereit ist. Die vermeintlichen Fehler in der Ansprache lassen sich in der konkreten Begegnung schnell beheben, wenn wir freundlich und dankbar Orientierung geben.

Die klassische Variante: Im Rahmen eines Wintertheater-Abos fahren drei Busse aus meiner Stadt nach Hamburg einmal im Monat ins Theater. Man kennt mich. Wenn ich dran bin, aus dem Bus auszusteigen, sind sofort zwei starke Busfahrer links und rechts dabei und packen mich an den Armen und heben mich regelrecht aus dem Bus heraus. Meine Füße berühren den Boden nicht mehr und landen unkontrolliert zwischen Bordsteinkante und Fahrbahn. Sehr unangenehm. Ich nehme es mit Humor. Ich komme mir vor wie eine Comic-Figur.

Nachbarn oder Bekannte fragen mich manchmal , ob sie z.B. etwas vom Markt oder vom Supermarkt für mich mitbringen könnten. Sehr nett. Aber mir wäre es lieber, sie würden fragen, ob ich mitkommen möchte. Ich könnte mit deren Hilfe selbstbestimmt meine Produkte auswählen.

Allgemeines Verhalten: Ich habe das Gefühl, die Menschen in meinem Umfeld distanzieren sich, möglicherweise aus Angst, in Anspruch für eine Unterstützung genommen zu werden, obwohl ich nie um etwas bitte.

Im Supermarkt frage ich jemanden vom Personal, wo sich ein bestimmtes Produkt befindet. Antwort: Da hinten, links, an der Ecke.

Positive Erfahrungen: Neben mir stieg eine junge Frau aus der Bahn mit Blick auf dem Handy. Sie war schneller als ich. Sie blieb an der Tür stehen und, ohne ein Wort zu sagen und immer noch mit Blick auf dem Handy, reichte sie mir ihren Arm. Ich stützte mich leicht darauf, stieg aus, und, bevor ich etwas sagen konnte, war sie weg. Sie hat mich kein einziges Mal angeschaut. Ich fand, das war auch eine filmreife Szene.

Wenn ich in die Bahn einsteige, springen sofort einige Leute von ihrem Sitz und bieten mir den Platz an. Sogar ältere Menschen als ich, und ich bin 71. Ich bedanke mich herzlich mit diesen Worten: „Oh, vielen Dank. Bleiben Sie ruhig sitzen. Ich sehe zwar kaum was, bin aber gut zu Fuß. Es entsteht immer eine angenehme Atmosphäre.

Ich bin in der glücklichen Lage, mehrheitlich positive Erfahrungen zu machen. Aber die Kampagne ist auf jedem Fall wertvoll. Mir wurde auch oft gesagt, dass man nicht genau weiß, was man tun sollte. Diese Aufklärung wird sicherlich vielen Menschen die Augen öffnen.

Im Stadtteil, in dem ich lebe, erfahre ich fast ausschließlich positive Hilfe auf der Straße, wenn ich ein Gebäude wie den Arzt oder die Post aufsuche. Ich werde angesprochen und mir wird zum Einhängen der Arm oft angeboten.

Negativ dagegen fällt mir wenn ich in meiner Kirchengemeinde bin, das mich vereinzelt Menschen zu nah berühren oder mich im Gesicht anfassen. Das kommt zum Glück kaum vor, ist aber leider schon passiert. Vereinzelt wurde ich auch gestreichelt meist von älteren Personen so nach dem Motto das kleine Kind. Leider wird mir oft zu wenig zugetraut. „Beim Tischdecken brauchst du nicht zu helfen. Machen wir schon. Das geht schneller.“ Wird nie so gesagt aber sinngemäß ist es gemeint.

In meinem Alltag erlebe ich häufig, dass Menschen im Umgang mit sehbehinderten Menschen, ich bin noch nicht vollständig erblindet, irgendwie reagieren. Häufig meinen sie an, dass ich Hilfe brauche, weil ich ja mit dem „Blindenstock“ unterwegs bin. Ich frage sie dann, ob auf dem weißen Stock „Blindenstock“ draufsteht? „Nö, aber Sie sind doch blind, 'ne?“ Ich verneine und kläre auf, dass dieser weiße Langstock bzw. Mobilitätsstock auch von sehbeeinträchtigten Menschen mit einen geringen Restsehvermögen verwendet wird. Es ist ein Hilfsmittel, dass sie in die Lage versetzt, Stufen, Poller und andere Hindernisse auf dem Weg zu erfühlen und sich hiervor zu schützen. Gleichzeitig ist es ein Verkehrsschutzzeichen, dass auf eine Seheinschränkung hinweist, damit sehende Menschen Rücksicht auf mich nehmen können. Sie können mir ausweichen oder mich über die Straße gehen lassen, ohne mir die Vorfahrt zu nehmen. Der Langstock ermöglicht mir, dass ich mich ohne fremde Hilfe selbständig und selbstbestimmt im öffentlichen Raum bewegen kann. Oft höre ich dann: „Aha, das habe ich nicht gewusst. Ich dachte, dass ich einer solchen Person helfen muss.“

„Nein, antworte ich, das ist nicht notwendig. Sollten Sie unsicher sein, so mag ich es, wenn Sie eher eine positive Aussage über mich machen, z.B. Sie kommen klar!“ Sollte das mal nicht der Fall sein, kann ich von mir aus sagen, was ich an Unterstützung in dieser Situation brauche.“ Allgemein würde ich mich freuen, wenn die Menschen um mich herum mir mehr zutrauen würden und weniger fragen würden, ob ich Hilfe brauche. Mit dem weißen Langstock kann ich mir meine Umwelt weitestgehend selbst erschließen.

Was ich überhaupt nicht mag, ist, dass Menschen meinen, mich anfassen zu müssen, weil ich ja offensichtlich blind bin. Das empfinde ich als übergriffig. Wenn ich etwas frage, können sie mir antworten. Ein Anfassen ist unsinnig. Ich fasse mein Gegenüber ja auch nicht an, um es zu erfühlen, weil ich es nicht oder nur eingeschränkt sehe.

Im Umgang miteinander freue ich mich, wenn sich der andere Mensch vorstellt und ein Interesse anspricht, was erst einmal nichts mit dem eingeschränkten Sehvermögen zu tun hat, sondern mich als Mensch meint. Denn wir alle sind vielfältig, bunt und manchmal sonderbar. Im öffentlichen Raum freue ich mich, wenn im Bus nach dem Einstieg einer der vorderen Plätze frei gemacht wird und mir gesagt wird, dass rechts bzw. links der Platz frei ist. Dies erleichtert mir den Ein- und Ausstieg und der Sitzplatz gibt mir Sicherheit während der Fahrt. Ich freue mich, wenn Menschen hinter mir den Weg queren und vor mir den Weg frei machen.

Ich wünsche mir, dass sich gewöhnliche Menschen über diese Bedarfe informieren, und differenziert mit Menschen die seheingeschränkt oder blind sind umgehen. Auch die gewöhnlichen Menschen wollen als Individuum wertgeschätzt werden und so ich auch.

Situation: Es ist ein regnerischer, nasskalter Tag. Ich fahre mit einem Moia zum Arzt, um ein Rezept abzuholen. Wir halten am vorgesehenen Ausstieg. Die Tür geht auf und der Fahrer sagt: „Vorsicht, es ist nass.“ Ich antworte noch in Gedanken, „Ja, es regnet den ganzen Tag“ und steige aus.

In dem Moment bemerke ich, dass genau vor mir an Bordstein ein lieferwagengroßes Fahrzeug steht, um das ich mich nun herumtasten muss, um auf den Gehweg zu gelangen… Tja, ich hätte es hilfreicher gefunden, wenn der Fahrer auf dieses Hindernis hingewiesen und ggf. einen möglichen Weg drum rum bzw. dran vorbei genannt hätte.